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Freigegebene Einbahnstraßen: Eine Wuppertaler Erfolgsgeschichte

Einbahnstraßen, die für den gegenläufigen Radverkehr freigegeben sind, gehören in Wuppertal inzwischen fest zum Stadtbild. Die Vorteile dieser Regelung liegt auf der Hand: Freigegebene Einbahnstraßen können Wege verkürzen, neue Wegbeziehungen schaffen und – gerade für Wuppertal sehr interessant – unnötige Steigungen vermeiden. In den späten 90er-Jahren begann diese Erfolgsgeschichte, als Ausnahmeregelung. 2013 wurden die Hürden für eine Einbahnstraßenöffnung nochmals deutlich reduziert.  Im gleichen Jahr habe ich, auf einem Workshop des Wuppertal Instituts angeregt, Einbahnstraßen „nach Aktenlage“ öffnen zu lassen. Sprich: Statt auf die Anregung der Bürger zu warten, sollte die Stadtverwaltung, dort wo es nach Aktenlage möglich ist, die Einbahnstraßen proaktiv öffnen. Inzwischen ist über die Hälfte der Wuppertaler Einbahnstraßen für den gegenläufigen Radverkehr geöffnet. Ein Großteil dieser Straßen befindet sich in 30er Zonen. Hier ist die freigegebene Einbahnstraße inzwischen die Regel, nicht die Ausnahme. Als vor drei Jahren die Zahl der geöffneten Einbahnstraßen deutlich zunahm, hatten wir eine muntere stadtweite Diskussion, ob diese Regelung nicht „zu gefährlich“ sei und ob nicht nach kürzester Zeit „die Toten auf der Straße liegen würden“. – Sie lagen nicht! Vielmehr gibt es bis heute keinen einzigen Unfall im Wuppertaler Stadtgebiet, der auf diese Regelung zurückzuführen wäre. Für Leute, die sich mit der Materie auskennen kein Wunder. Bereits 2001 hatte die Bundesanstalt für Straßenwesen (Eine Organisation, die nicht verdächtig ist, Pro-Fahrrad zu sein) in einem ausführlichen dargelegt, dass die Freigabe von Einbahnstraßen, innerhalb des rechtlichen Rahmens, nicht nur unbedenklich sei, sondern auch den Radverkehr ankurbeln kann.

Vor diesem Hintergrund war ich doch ziemlich überrascht, als ich heute auf der Webseite von Radio Wuppertal diese Nachricht laß. Einbahnstraßen werden freigegeben, wenn die „Polizei nichts dagegen“ hat. Das wären dann „Radwege“ und sie würden an „Stellen errichtet, wo sie nicht gebraucht werden“. Als Beispiele werden die Roonstraße und die Gertrudenstraße angeführt. Die Anwohner kritisieren diese Maßnahme weil durch sie „auch Parkplätze wegfallen“.

Puh! Da kommt einiges zusammen: Hier die vier wichtiges Punkte:

  1. Es entstehen keine „Radwege“.
    Vielmehr dürfen in 30er-Zonen gar keine Radwege angelegt werden. Ein Radweg ist meist ein baulich hergestellter, durchgängiger Weg, der nach bestimmten Vorgaben gebaut werden muss. Dieser kann/darf oder muss (je nach Beschaffenheit und Beschilderung) vom Radfahrer genutzt werden. In der freigegebenen Einbahnstraße fährt der Radfahrer auf der Fahrbahn … und zwar nur dort (der Bürgersteig ist tabu!). Im Kurvenbereich kann man allerdings Schleusenmarkierung und Schutzflächen einrichten um eine konfliktfreie Begegnung zu ermöglichen.
  2. Die Bezirksvertretungen entscheiden.
    Zwar hat die Polizei, informell, ein Mitspracherecht bei der Freigabe einer Einbahnstraße, die Entscheidung obliegt am Ende allerdings der Bezirksvertretung. Die Verwaltung erstellt eine Vorlage((Wobei nicht jede Einbahnstraße, die in Frage kommt, auch von der Verwaltung vorgeschlagen wird.)). Im Zuge dessen wird auch die Polizei und auch die Radverkehrsverbände angehört. Anschließend wird die Vorlage in der Bezirksvertretung beschlossen. Erst danach kann die Stadt die Maßnahme anordnen.
  3. Die Freigabe ist immer sinnvoll.
    Ebenfalls ein Klassiker: „Das nutzt ja keiner!“ Diesen Satz habe ich schon tausend mal gehört, im Bezug auf die Westkotter Straße, Markierungen am Otto-Hausmann-Ring und – mein Favorit – im Bezug auf die Nordbahntrasse. Es war eines der wesentlichen Argumente der Nordbahntrassen-Gegner (ja, die gab es). Zum Glück konnte sich diese Fraktion nicht durchsetzen. Im Bezug auf die Roonstraße verhält es sich ähnlich: Wenn ich dort unterwegs bin, sehe ich meistens andere Radfahrer und auch das Feedback aus der Fahrradcommunity im Bezug auf die Öffnung der Straße war ziemlich hoch. Auch bei rdwgwpt, einem Photoblog zum Thema Falschparker auf Radinfrastruktur, gibt es inzwischen zahlreiche Beiträge zum Thema Roonstraße (z.B. hier, hier, hier und hier), ebenfalls ein Zeichen dafür, dass diese Freigabe gut angenommen wird. In der Gertrudenstraße kann man immerhin noch mit der besseren Anbindung der Anwohner argumentieren. Sinnvoller wäre es allerdings wenn der Bereich zwischen Hombüchel und Schusterstraße ebenfalls freigegeben würde. Durch diese Freigabe ließen sich noch weitere Wegbeziehungen erschließen. Natürlich haben wir die Radio Wuppertal Meldung heute auch intern in der IG Fahrradstadt Wuppertal diskutiert. Im Bezug auf den „Bedarf“, den der Sender ja offensichtlich anzweifelt schrieb eines der IG-Mitglieder: „Den Bedarf einer Brücke erfasst man ja auch nicht daran, in dem man zählt, wieviele Menschen durch den Fluss schwimmen…oder wieviele Autofahrer durch den Rhein fahren.“ – Ich finde das trifft das Problem eigentlich ganz gut.
  4. Radverkehr nicht Schuld an der Reduktion der Parkplätze
    Gerade im Bezug auf die Roonstraße ist der Vorwurf, dass durch die Freigabe für Radfahrer eine große Zahl an Parkplätzen weggefallen sind, nicht haltbar. Ein Blick in die Vorlage schafft diesbezüglich Klarheit:

    Neben der Prüfung auf Einbahnstraßenfreigabe ist die Verwaltung von Seiten der Polizei gebeten worden die Parkplatzsituation in der Roonstraße zu prüfen, da die heutige Parksituation als kritisch gesehen wird. Die Neustrukturierung der Parkplätze spielt somit nicht nur eine entscheidende Rolle für die Freigabe der Einbahnstraße für den gegenläufigen Radverkehr, sondern stellt auch eine Strukturierung des ruhenden Verkehrs dar. Oftmals werden die Kurvenbereiche und die Gehwege durch fehlende Parkmarkierungen zugeparkt, sodass die erforderlichen Gehwegbreiten und die für die Feuerwehr freizuhaltenden Bereiche in den Kurven nicht den Vorschriften entsprechen

    Sprich: Das kompromisslose Abstellen von Kraftfahrzeugen behindert nicht nur alle anderen Verkehrsteilnehmer (Radfahrer, Fussgänger und Nutzer des ÖPNV), sondern kann sogar das Eintreffen der Feuerwehr bei einem Notfall massiv verzögern. Die Schutzmarkierung im Kurvenbereich schützt also nicht nur Radfahrer, sondern kann ggf. im Notfall über Leben und Tod entscheiden. In den letzten Jahrzehnten hat sich in den Wohngebieten ein wahrer Wildwuchs in Sachen Parken entwickelt. Die 5-Meter-Regel, das Parken in Fahrrichtung und das Verbot von Gehwegparken existiert in vielen Quartieren nur noch auf dem Papier. Scheinbar haben Polizei und Stadtverwaltung nun eingesehen, dass es so nicht weiter gehen kann und versuchen nun, im Zuge einer ganzheitlichen Betrachtung, die Straßen der Stadt nicht mehr als Abstellraum für Kraftfahrzeuge, sondern als Raum für alle Nutzergruppen zu sehen. Dabei ist allerdings auch klar: Wenn alle Bedürfnisse berücksichtigt werden, müssen alle Kompromissbereit sein. Die Neuordnung des Parkraums in der Roonstraße ist ein solcher Kompromiss. Es verbessert die Situation von Radfahrern und Fussgängern und schafft trotzdem jede Menge Parkraum, zum Teil auch auf dem Gehweg.

Es ist schade, dass ein Radiosender einer Stadt, die bis 2025 Fahrradstadt werden möchte und dessen Zentrum nur noch 19% der Besucher mit dem Auto ansteuern((Modal Split Elberfeld: 59% ÖPNV, 19% PKW, 12% zu Fuss, 9% Radverkehr Quelle: Innenstadt und Zentralkonzept Wuppertal)), so unreflektiert über die Transformationsprozesse in dieser Stadt berichtet und Meinungen als Fakten darstellt. Etwas mehr Offenheit (und Fairness) wäre wünschenswert, gerade wenn man sich selbst als „Stimme der Stadt“ begreift.

 

In Kategorie: Allgemein

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